„Das Wichtigste sind Gespräche“ – Gesundheitsnetzwerker sprechen über mögliche Verbesserungen der Versorgung

Prof. Markus Müller-Schimpfle und seine Kollegin Dr. Carola Koch halten Kommunikation für zentral für eine gute Gesundheitsversorgung. © Maik Reuß
Prof. Markus Müller-Schimpfle und seine Kollegin Dr. Carola Koch halten Kommunikation für zentral für eine gute Gesundheitsversorgung. © Maik Reuß

Frankfurt – Das „Gesundheitsnetzwerk Rhein-Main“ wurde 2011 in Höchst gegründet, um durch bessere Kommunikation die Patientenversorgung in der Region zu verbessern. Mittlerweile hat sich der Verein einmal runderneuert, doch das Ziel blieb das gleiche. Redakteurin Sarah Bernhard sprach mit dem Vereinsvorsitzenden, dem Radiologen am Höchster Klinikum Markus Müller-Schimpfle, und seiner Kollegin, der niedergelassenen Allgemeinärztin Carola Koch, über die elektronische Patientenakte, Reformwahnsinn und die Frage, was eine gute Patientenversorgung wirklich ausmacht.

Herr Müller-Schimpfle, Ihr Verein hat zum Ziel, alle Akteure der Gesundheitsver-sorgung miteinander zu vernetzen. Sollte das nicht eigentlich der Normalzustand sein?

Müller-Schimpfle: Bedingt durch zunehmende Spezialisierung und wirtschaftlichen Druck schaut in unserem Gesundheitssystem jeder nur durch seine eigene Brille. Wir wollen die Menschen zusammenbringen. Unser Alleinstellungsmerkmal ist dabei eine Kombination aus Merkmalen: der Fokus auf Leistungserbringung, eine sektorenüberschreitende Denkweise, die Miteinbeziehung von Patientenvertretern und eine gesellschaftspolitische Tiefe. All das zusammen gibt’s nirgends sonst.

Und was bringt mir das als Patient?

Koch: Es führt unter anderem dazu, dass wir eine sehr gute Patientenversorgung hinbekommen. Ich als niedergelassene Ärztin habe konkrete Ansprechpartner in den einzelnen Abteilungen und kann so die Weiterversorgung des Patienten zeitnah organisieren.

Müller-Schimpfle: Als zum Beispiel 2023 das Höchster Klinikum in den Neubau zog, war das Personal unserer Radiologie so überlastet, dass die Kommunikation zu unseren Zuweisern abriss. Viele niedergelassene Kollegen hat es sehr geärgert, dass sie niemanden mehr erreichen konnten. Da war es Gold wert, dass wir eine Plattform und ein Vertrauensverhältnis zueinander hatten. Ein normales Unternehmen hätte das womöglich nicht überlebt.

Koch: Für eine gute Gesundheitsversorgung reicht die Vernetzung von ambulant und stationär aber nicht aus, sie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auch die Pflege wird von uns mitgedacht, bei schweren Erkrankungen können Selbsthilfegruppen helfen. Und auch, wenn alleinstehende Menschen aus der Klinik entlassen werden, muss jemand da sein, der sich kümmert. Wir wollen all diese Akteure zusammenbringen.

Der neueste Versuch, die Kommunikation zwischen den Sektoren zu verbessern, ist die elektronische Patientenakte. Wird Ihr Verein jetzt überflüssig?

Koch: Die Idee ist gut, aber die Umsetzung ist enttäuschend. Ich denke, weil die elektronische Patientenakte auf den Markt gebracht wurde, bevor sie marktreif war. Das Hochladen von Befunden ist nur eingeschränkt möglich und jede Arztsoftware hat unterschiedliche Vorgehensweisen. Und dieser Verwaltungsakt geht auch noch zulasten der Zeit, die man als Arzt hat.

Müller-Schimpfle: Besser gemacht als perfekt nicht gemacht.

Koch: An sich richtig, aber funktionieren muss es eben schon.

Müller-Schimpfle: Als ich 2002 als frisch gebackener Chefarzt von der Uni nach Höchst kam, war ich natürlich mit allen modernen Diagnose-Tools bewaffnet. Irgendwann nahm mich ein etwas älterer Oberarztkollege aus der Chirurgie zur Seite und sagte: Bei uns in Höchst behandeln wir keine Bilder, wir behandeln Menschen. Das war nicht böse gemeint, sondern klarstellend: Das Wichtigste bei einer Behandlung sind die Gespräche miteinander, insbesondere bei schweren Fällen.

Koch: Und die bleiben auch mit der elektronischen Patientenakte bestehen.

Empfinden Sie die Klinikkonferenzen von Klinikdezernent Bastian Bergerhoff (Grüne), die ja auch der Vernetzung dienen sollen, als Konkurrenz?

Müller-Schimpfle: Wir stehen am Patientenende der Versorgung. Davon sind die zur Koordination wichtigen Klinikkonferenzen ein paar Etagen weit entfernt.

Koch: Dort treffen sich ja auch nur Klinikvertreter, in unserem Verein geht es um die Patientenversorgung im Gesamten.

Wie stehen Sie zur geplanten Krankenhausreform?

Müller-Schimpfle: Es ist unstrittig, dass wir uns in der modernen Medizin fokussieren und unsere Kompetenzen bündeln müssen. Denn wir werden nicht mehr, sondern weniger Leistungserbringer, während die Zahl der Patienten steigen wird. Um dieses Missverhältnis auszugleichen, werden wir künstliche Intelligenz benötigen, aber das Wesentliche sind Bündelungen von Spezialisierungen durch die neuen Leistungsgruppen. Wie sie zustande gekommen sind, darüber kann man streiten. Aber der Grundsatz, Leistungen zusammenzufassen, ist richtig.

Koch: Mit der Veränderung der Kliniklandschaft wird es auch eine Neuverteilung im und in den ambulanten Bereich geben müssen. Wenn man es klug anstellt, hat man die Chance, auch hier Dinge besser zu machen, und beispielswiese mit einem Primärarztsystem eine sinnvolle Patientensteuerung einzuführen.

Das heißt, man geht grundsätzlich erst einmal zum Hausarzt und der überweist einen gegebenenfalls zum Spezialisten.

Koch: Das ist eine Möglichkeit, aber wenn man den drohenden Hausärztemangel bedenkt, wird es noch weiterer Möglichkeiten bedürfen. Dass mehr gesteuert werden muss, wird klar, wenn man weiß, dass jeder Deutsche im Durchschnitt elfmal im Jahr einen Arzt aufsucht, während Finnen mit vier Besuchen auskommen. Da muss sich bei uns noch einiges verändern.

Hätte man dazu nicht beides zusammen reformieren müssen?

Müller-Schimpfle: Das wäre zu komplex gewesen. Und an sich hätte man das auch schon bei der Klinikreform mitdenken können. Aber dazu hätten Vertreter der niedergelassenen Versorgung und deutlich mehr Vertreter der Krankenhausversorgung mitplanen müssen. Karl Lauterbach hat sich aber leider sehr auf Gruppen aus Forschung und Lehre gestützt. Ich habe auch die Befürchtung, dass ein aufgesetztes Primärarztsystem nicht funktionieren würde, weil unsere Gesellschaft anders tickt als die skandinavische. Dort nehmen 70 Prozent der Frauen am Mammographie-Screening teil, bei uns nur um die 50 Prozent.

Koch: Um wirklich intersektoral behandeln zu können, müssten wir uns zum Beispiel auch dringend den Rechtsrahmen der einzelnen Sektoren anschauen und überlegen, wie man ihn flexibler gestalten kann.

Was meinen Sie?

Müller-Schimpfle: Zum Beispiel bekommen Patienten, die an der sogenannten ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) teilnehmen, etwa bei Brustkrebs, hier am Zentrum die ganze Behandlung aus einem Guss. Die niedergelassenen Kollegen sind damit einverstanden, weil sie wissen, dass das wichtig ist. Dafür bestanden sie bei den Verhandlungen darauf, dass die Nachsorge komplett ambulant gemacht wird. Da gehört sie im Grunde auch hin, aber es gibt schwierige Fälle, die besser beim Behandler blieben. Das geht aber nicht, weil das System zu unflexibel ist. Das müsste sich dringend ändern.

Koch: Wir sprechen auch in unseren Qualitätszirkeln immer wieder über die Nachsorge, weil die Behandlung nach der Chemotherapie eben nicht beendet ist, sondern weitergehen muss.

Müller-Schimpfle: Es wäre für alle bösartige Tumoren wünschenswert, dass niedergelassene Ärzte den Patienten zu speziellen Nachsorge-Untersuchungen wieder in die Klinik zurückschicken können.

Koch: Unsere gemeinsame Arbeit ist dann ein Erfolg, wenn der ein Patient mit dem Ablauf der Behandlung zufrieden ist und sich optimal betreut und versorgt fühlt.

Wer macht bei dem Netzwerk eigentlich alles mit? Klingt, als ob es auf Höchst und Umgebung beschränkt wäre.

Müller-Schimpfle: Nein, wir sind auch offen für andere Krankenhäuser. Das entscheidende Kriterium ist, dass man ein Leistungserbringer ist. Das können auch ein orthopädischer Schuhmacher, ein Sanitätshaus oder ein Physiotherapeut sein.

Koch: Der Schwerpunkt ist tatsächlich Höchst, aber zum Beispiel sind auch die Malteser Main-Taunus Mitglied, und das Gesundheitsnetz reicht bis in den Frankfurter Süden. Wer Interesse hat, kann sich gerne melden.

Zu den Personen: 

Dr. Carola Koch ist seit 1993 niedergelassene Fachärztin für Allgemeinmedizin und hat berufsbegleitend Gesundheitsökonomie studiert. Ihre Praxis hatte sie zunächst in Nied, 2013 zog sie nach Höchst. Sie leitet das Gesundheitsnetz Frankfurt, das niedergelassene Ärzte vernetzt, und ist stellvertretende Vorsitzende im Hartmannbund Hessen.

Prof. Markus Müller-Schimpfle ist seit 23 Jahren Chefarzt der Klinik für Radiologie, Neuroradiologie und Nuklearmedizin des Höchster Klinikums, hat außerplanmäßige Professuren an den Unis Frankfurt und Tübingen und war 15 Jahre lang Gesellschafter in einer niedergelassenen Gemeinschaftspraxis für Radiologie.

Das Gesundheitsnetzwerk Rhein-Main ist ein Zusammenschluss von unter anderem Krankenhaus- und niedergelassenen Ärzten, Pflegeeinrichtungen und Apotheken. Der Verein organisiert gemeinsame Projekte und Treffen, etwa einen regelmäßigen Qualitätszirkel. Ab 2014 half er dabei, den „Höchster Tresen“ zu etablieren, den damals ersten gemeinsamen Empfangsbereich für klinische und ambulante Notfallversorgung Hessens. SAB

Quellenangabe: Höchster Kreisblatt vom 18.08.2025, Seite 30

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